Visuelle Wahrnehmung im Fremdsprachenunterricht

Ich sehe was, was du nicht siehst – oder warum sind Bilder nicht gleich Bilder?
Visuelle Wahrnehmung bezeichnet nicht nur die Aufnahme, sondern auch die Verarbeitung optischer Reize. Sie geht also weit über das rein optische Aufnehmen von Informationen hinaus. Vielmehr werden über Auge und Gehirn relevante Informationen extrahiert, ausgewählte Elemente erkannt und interpretiert, indem sie mit bereits vorhanden Erinnerungen abgeglichen werden. Vereinfacht gesagt, sehen wir nur das, was wir ohnehin schon kennen.
Die visuelle Kompetenz ist also nicht angeboren, sondern im Laufe des Lebens erworben. Aus der kognitiven Psychologie weiß man zudem, dass die Wahrnehmung nicht nur aktiv, subjektiv, selektiv und konstruktiv ist, sondern auch interpretativ, vorwissensbasiert und kontextabhängig. Es ist also nie garantiert, dass bei einer Bildbetrachtung auch alle das Gleiche sehen.
Mit der kognitiven Wende in den 1980er Jahren hat auch eine Wende in der Bildforschung eingesetzt, die zur nachhaltigen Veränderung in der Diskussion um die visuelle Kompetenz (visual literacy) geführt hat.
Visualisierungen sind ein enorm wichtiger Baustein im Fremdsprachenunterricht. Nicht nur, dass sie den punktuellen Verzicht auf Sprache ermöglichen. Das Lernen mit Bildern ist emotionaler und bereitet in der Regel mehr Spaß. Man braucht sich nur an alte Lehrwerke erinnern, die oftmals völlig ohne Bilder auskamen. Heute enthalten Lehrwerke auf bis zu 89% der Seiten Visualisierungen unterschiedlichster Art.
Im Fremdsprachenunterricht geht es oft darum ein Bild zu beschreiben, vielleicht sogar einen Dialog zu einem Bild zu verfassen u.ä. Die Fähigkeit des verstehenden Sehens aber kann nicht als vorhanden vorausgesetzt werden. Auch ist die visuelle Kompetenz aufgrund der Kulturgebundenheit von Bildkonventionen tatsächlich eine kulturspezifische Fähigkeit.
Wer Bilder als Lehr- und Lernmedien einsetzen will, sollte sich also erst einmal der Frage annähern, wie ein grundsätzliches Sehverstehen als so genannte fünfte Fertigkeit im Fremdsprachenunterricht trainiert werden kann. Es geht schließlich darum, neben dem Textverstehen auch ein Bildverstehen (visual literacy) aufzubauen. Hierhin gehört auch das Reflektieren der didaktisch relevanten Beziehungen zwischen Bild und Text.
Auch geht es beim Einsatz von Visualisierungen darum, ob die Lernaufgabe mit dem entsprechenden Bild erfüllt werden kann oder ob und wie das Bild dazu beiträgt, das Lernziel zu erreichen. Auch die unterschiedliche Leistungsfähigkeit von Bildtypen gilt es zu hinterfragen. Verkürzt ausgedrückt heißt das: Unterstützt die jeweilige Visualisierung die Lernhandlung tatsächlich oder ist sie einfach nur Schmuck?
Unsere Blogautorin: Anke Kuhnecke