Fremdsprachenerwerb in der Theorie

Die Fremdsprachenerwerbsforschung hat in den letzten Jahrzehnten aufschlussreiche Erkenntnisse, u.a. über das Erlernen der Grammatik, gewonnen.
Grundsätzlich ist man dahintergekommen, dass die Prinzipien eines erfolgreichen Fremdsprachenerwerbs denen des Muttersprachenerwerbs im Wesentlichen gleichen. Der kindliche Spracherwerb in der Muttersprache läuft über Erfahrungen, Hypothesen, Ausprobieren. Wer mit kleinen Kindern zu tun hat kann beobachten, wie in der „Plapperphase“ Fehler gemacht werden, die die Eltern/Erwachsenen korrigieren. Die Kommunikation ist dadurch keineswegs gestört.
Für den Aufbau des Wortschatzes beispielsweise gilt, dass vor dem Gebrauch des neuen Wortes der Aufbau des mentalen Begriffes steht, für den das Wort das sprachliche Zeichen ist. Im Muttersprachenerwerb werden Begriffe fast ausschließlich um charakteristische Merkmale gruppiert. Erst mit zunehmendem Verständnis von Situationen (Erfahrungen sammeln) bildet sich ein abstraktes Begriffswissen heraus.
Für den Fremdsprachenerwerb heißt das ganz praktisch, das neuer Wortschatz erfahren und kontextualisiert werden sollte. Ein Wortschatz wird schwer durch Einzelwörter aufgebaut, sondern vielmehr gebrauchsbezogen erlernt. Am besten in sinnvollen Sätzen, die an nachvollziehbare, teilnehmerorientierte Situationen geknüpft sind.
Ebenso scheint der Grammatikerwerb in der Fremdsprache einer gewissen Eigendynamik zu unterliegen. Man geht inzwischen davon aus, dass Regelkomplexe der Fremdsprache in festen Reihenfolgen durchgearbeitet werden, die nicht unbedingt der Reihenfolge des Fremdsprachenunterrichts entsprechen müssen.
Ein Grammatik-Input funktioniert beispielsweise nur dann, wenn die vorangegangene Phase als abgeschlossen gilt. Heißt: Erst wenn die Konjugation sitzt, ist die Voraussetzung für den Erwerb der nächsten Struktur (Aussage-/Fragesätze) gegeben. Dieses Phänomen taucht in der Literatur zum Fremdsprachenerwerb als die „Pienemannsche Teachbility Hypothesis“ auf.
Wie letztendlich der Weg vom deklarativen zum prozeduralen Wissen verläuft, ist nicht klar. Fest steht, dass die persönliche und individuelle Auseinandersetzung mit dem Regelwerk eine große Rolle spielt. Strukturen müssen praktisch individuell erarbeitet werden. Dazu gehört ganz elementar eine Phase des Fehlermachens, Experimentierens sowie Ausprobierens der grammatikalischen Strukturen.
Findet das Grammatik-Input allerdings „gegen den Strich“ statt, zu einem Zeitpunkt also, in dem der Teilnehmende für die jeweilige Struktur noch nicht bereit ist, ist das gehäufte Auftreten von Fehlern über einen langen Zeitraum ein Zeichen der Überforderung. So gesehen zeigen auch Vermeidungsstrategien oder Fossilierungen an, dass der Lernende im grammatischen Regelwissen noch auf einer „früheren“ Stufe steht und für neue komplexere Strukturen noch nicht bereit ist.
Unsere Blogautorin: Anke Kuhnecke