Durch Lehren lernen wir

Schon in der Antike beschrieb der römische Philosoph Seneca den Effekt des Lernens durch Lehren.
Die Idee, dass Menschen am ehesten begreifen, indem sie anderen etwas erklären, griff Jean-Pol Martin, Pädagoge und Didaktiker, in den 1980er Jahren auf, um ein pädagogisches Gesamtkonzept zu entwickeln, das unter dem Namen Lernen durch Lehren (LDL) in die moderne Didaktik und Fremdsprachendidaktik eingeflossen ist.
Den Effekt, etwas selbst zu verstehen, wenn man es anderen erzählt, hat vermutlich jeder schon einmal erlebt. Offensichtlich liebt unser Gehirn es, wenn wir über komplexe Zusammenhänge sprechen. Die kognitionswissenschaftliche Forschung hat herausgefunden, dass es für die Verarbeitung von Wissen nachweislich relevant ist, dass Informationen bewertet und hierarchisiert werden. Das tun wir sozusagen automatisch, wenn wir einen Gedanken in Sprache fassen.
Wird dieses Phänomen bewusst in den Unterrichtsprozess eingebettet, erleben die Teilnehmenden eine enorme Selbstwirksamkeit, soziale Anerkennung und Sinnhaftigkeit im Lernprozess. Das führt bei leistungsstarken wie auch leistungsschwachen Teilnehmenden gleichermaßen zu Erfolgen im Lernprozess. Beim Lernen durch Lehren erarbeiten die Lernenden Inhalte selbstständig und teilen das erworbene Wissen mit den anderen Lernenden. Dabei steht die Kommunikation in der Gruppe im Mittelpunkt. Um diese Interaktion innerhalb der Gruppe zu ermöglichen, besteht die Aufgabe in der Regel in einer gemeinsamen Problemlösung.
Die Gruppe betrachtet sich dabei als ein Ganzes, wobei stabile Interaktionsstrukturen entstehen können. Neben der inhaltlichen Verarbeitung von Informationen, dem Wissenserwerb, werden also weitere elementare Fähigkeiten, wie Team- und Kompromissfähigkeit trainiert.
Beim Lernen durch Lehren werden stoffliche Inhalte auf Seiten der Lernenden kognitiv durchdrungen und anschließend durch intensive Kommunikation zwischen den Lernenden ausgetauscht. Damit der Lernstoff vermittelt werden kann, ist also die gleichzeitige Anwendung notweniger Sprachstrukturen für den Kommunikationstransfer notwendig. Hierin liegt der besondere Effekt für den Fremdsprachenerwerb. Es werden praktisch zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen: die Sprache ist gleichzeitig Mittel und Zweck der Auseinandersetzung.
Kursleitende sind beim Lernen durch Lehren lediglich im Hintergrund präsent, was aber nicht bedeutet, dass sie nicht steuern und regeln. Sie greifen sehr wohl aktiv und kontinuierlich in den Prozess ein, nämlich immer dann, wenn es notwendig ist. Damit wird unter anderem verhindert, dass einzelne Teilnehmende „abtauchen“ und den anderen die Arbeit überlassen.
Unsere Blogautorin: Anke Kuhnecke