Der „Europäische Tag der Sprachen“ als Denkanstoß: Welche Mehrsprachigkeit wollen wir?
Ein Gastbeitrag zum „Europäischen Tag der Sprachen“ am 26. September von Bernd Eckhardt, Fachbereichsleiter Sprachen der VHS Frankfurt

Was die Europäer kulturell reich macht, ihre Sprachenvielfalt, schränkt ihre europäische und globale Kommunikation zugleich ein. In der Folge steht überall in Europa zunächst Englisch auf dem Stundenplan, aber eben zunehmend nur noch Englisch. Unabhängig davon, welche Variante des Englischen erlernt wird, ist damit nicht der Aufbau einer europäischen Identität verbunden. Diese basiert auf der Sprachenvielfalt als ein Grundwert der Europäischen Union. Faktisch aber buchstabiert sich die offiziell weiterhin propagierte Zielformel der Mehrsprachigkeit M+2 (Jeder Europäer erlernt neben seiner Muttersprache zwei Fremdsprachen) in der Realität als M+E (Muttersprache plus Englisch).
Dabei rät der emeritierte Hochschullehrer Jürgen Trabant bereits davon ab, den Wert einer Sprache nur an der Zahl der Menschen zu messen, die man damit erreichen kann. Er fordert ein anderes Verständnis dessen ein, was Sprache ist: Der Reichtum der sprachlichen Vielfalt begründe sich darauf, dass Sprachen eine Technik zur geistigen Bearbeitung der Welt darstellten – eine jede Sprache auf ihre eigene verschiedene Art und Weise.
Trabant warnt vor dem erneuten Entstehen einer Diglossie in Europa, dem Nebeneinander einer Hochsprache und einer Sprache für die niederen Diskurse. Es gelte daher, jetzt mit den europäischen Sprachen auch die darin eingelassenen Texte als „Orte des Gedächtnisses Europas“ zu sichern.
Welche Folgerungen ergeben sich aus diesen Einschätzungen für die Praxis eines Sprachkursträgers wie der Volkshochschule, die doch ihrem Selbstverständnis nach bereits viel zur Förderung der Mehrsprachigkeit unternimmt, allein durch ihr breites und differenziertes Angebot?
Wenn man eine funktionale Aufteilung zwischen dem Englischen (internationale Kommunikation) und den anderen Sprachen (in denen man „beheimatet“ ist) fördern will, müsste man für den Erwerb der zweiten Fremdsprache das Lernziel anders definieren: Nicht reduziert auf Verständigung (mittels der Sprache), sondern erweitert um Verstehen (der Sprache und seiner Sprecher). Mit Trabants Worten: es geht um eine „Mehrsprachigkeit, die bildet.“
Somit könnten die Volkshochschulen einerseits den bildungsorientierten Erwerb von Fremdsprachenkenntnissen attraktiver machen und stärker bewerben; sie könnten andererseits die Debatte um das „richtige“ Englisch durch Programmdifferenzierung vorantreiben und dabei auch z.B. Erfahrungen mit „Globish“ in der Praxis sammeln. Beides kann dazu beitragen, die originäre Idee der Mehrsprachigkeit gegen den faktischen Trend zu verteidigen, nicht zuletzt auch mit dem Ziel, die Bedeutung der deutschen Sprache in Europa und der Welt zu sichern.
Der ungekürzte Artikel erscheint im dis.kurs 3/2014, dem Magazin des Deutschen Volkshochschul-Verbandes e.V. In der Langfassung der der Artikel bis 6. Oktober 2014 auch auf der Website der VHS Frankfurt unter diesem Link zu finden.