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Juni 2021

Die praktische Kenntnisprüfung – Teil 1

Ihnen wird folgende Patientin zugewiesen...

Die 42-jährige Patientin Marita Breiter befindet sich seit gestern auf der Station Innere Medizin, nachdem sie während ihres Trainings im Fitnessstudio ohnmächtig geworden und zur Beobachtung in die Klinik eingewiesen worden war.

Sie führen mit der Patientin ein ausführliches Anamnesegespräch und eine kurze körperliche Untersuchung durch.

Dr. Lee: Guten Morgen, Frau Breiter, mein Name ist Dr. Min Lee. Ich bin heute Ihr behandelnder Arzt und möchte erst einmal ein Anamnesegespräch mit Ihnen durchführen. Fühlen Sie sich jetzt dazu in der Lage?

Fr. Breiter: Guten Morgen. Ich fühle mich tatsächlich wie ein Wrack, aber klar, fragen Sie mich ruhig aus.

Dr. Lee: Gut. Frau Breiter, nur um mich zu vergewissern – Sie sind am 3.4.1979 geboren, also...42 Jahre alt, richtig?

Fr. Breiter: Ja, das stimmt.

Dr. Lee: Sie sind gestern spät abends bei uns mit den RTW eingeliefert worden. Erzählen Sie doch mal, was ist denn passiert?

Fr. Breiter: Ich war gestern Abend wie immer mittwochs im Fitnessstudio beim Training, hab mein Zirkeltraining gemacht und plötzlich bin ich umgekippt. Ich war dann wohl ein paar Minuten weg und da hatten die im Studio schon den Krankenwagen gerufen und seitdem bin ich bei Ihnen.

Dr. Lee: Also, beim Training haben Sie das Bewusstsein verloren. Ist Ihnen das denn schon einmal passiert?

Fr. Breiter: Nein. In der Form noch nicht.. aber schwindlig ist mir oft in letzter Zeit.

Dr. Lee: Könnten Sie mir das Schwindelgefühl genauer beschreiben, ist das eher wie ein Drehen auf einem Karussell oder eher wie auf einem schwankenden Schiff?

Fr. Breiter: Hm, ich würde eher das Zweite sagen, mir ist dann so schwummrig und trieselig und ich bin dann ganz unsicher auf den Beinen.

Dr. Lee: Wie oft war Ihnen in letzter Zeit schwindlig?

Fr. Breiter: Na ja, es ist mehr geworden.. jetzt so alle zwei Tage.

Dr. Lee: Verstehe. Und wie lange hält das Schwindelgefühl an?

Fr. Breiter: Ich guck da nicht auf die Uhr. Wenn ich mich hinsetze geht’s dann gleich wieder.

Dr. Lee: Was machen Sie beruflich, Frau Breiter?

Fr. Breiter: Ich bin Berufsschullehrerin, Mathematik und BWL.

Dr. Lee: Ah ja. Da stehen Sie ja viel vor der Klasse?

Fr. Breiter: Nee, in letzter Zeit nur noch vor dem Computer – Sie wissen ja, Pandemie. Deswegen versuche ich mich anders fit zu halten – und jetzt das (schluchzt).

Dr. Lee: Frau Breiter, ich verstehe gut, dass Sie jetzt beunruhigt sind. Lassen Sie uns versuchen, der Sache gemeinsam auf den Grund zu gehen. Wann sagten Sie, hat das Schwindelgefühl genau begonnen – vor ein paar Wochen oder Monaten?

Fr. Breiter: Ich denke, vor einem halben Jahr ist es mir das erste Mal aufgefallen – beim Tanzen auf der Hochzeit von meiner Schwester. In den letzten Wochen ist es häufiger geworden, wie gesagt, so alle zwei Tage.

Dr. Lee: Beim Tanzen also. Kommt denn der Schwindel eher bei körperlicher Aktivität?

Fr. Breiter: Ja, kann man so sagen. Und überhaupt, ich fühle mich generell immer schlechter die letzten Wochen, der Gang ins Fitnessstudio ist mir ein Graus geworden, weil es mir danach nicht besser geht, sondern eher mieser.

Dr. Lee: Haben Sie neben dem Schwindel noch andere Beschwerden?

Fr. Breiter: Klar. Mein Kopf dröhnt, besonders wenn ich lange am Bildschirm gesessen bin. Solche Arten von Kopfschmerzen hatte ich bisher noch nicht.

Dr. Lee: Haben die Kopfschmerzen mit dem Schwindel begonnen?

Fr. Breiter: Ja, jetzt wo Sie fragen. Diese Art von Kopfschmerzen habe ich auch seit der Hochzeit.

Dr. Lee: Sind die Kopfschmerzen durchgehend oder attackenartig?

Fr. Breiter: Die kommen und gehen. Manchmal nur morgens, aber oft auch ganztägig.

Dr. Lee: Wie lange dauern die Schmerzen denn in der Regel an?
Fr. Breiter: Na, ganz unterschiedlich.. aber eher so ne Stunde würde ich sagen.

Dr. Lee: Wie stark würden Sie die Kopfschmerzen einschätzen, wenn ich Ihnen eine Skala von 0 bis 10 vorgebe – wobei 10 der stärkstè vorstellbare Schmerz ist?

Fr. Breiter: Hm, um die 5.

Dr. Lee: Das heißt, Sie habe auch schmerzfreie Zeiten?

Fr. Breiter: Ja.

Dr. Lee: Wo genau befinden sich die Kopfschmerzen, ist das lokal begrenzt oder ist der ganz Kopf betroffen?

Fr. Breiter: Hauptsächlich in den Schläfen, ein starker Druck.

Dr. Lee: Gut. Sie sagten vorhin, dass Ihnen körperliche Aktivität schwerfalle?

Fr. Breiter: Ja. Ich muss mich wirklich zwingen, irgendwo hinzugehen. Zum Fitness schaffe ich es nur einmal pro Woche, wenn überhaupt.

Dr. Lee: Beobachten Sie das auch seit dem Beginn des Schwindels?

Fr. Breiter: Ja, das könnte hinkommen.

Dr. Lee: Haben Sie auch Probleme beim Luftholen?

Fr. Breiter: Ja. Wenn ich mich anstrenge, dann geht mir die Puste aus und mein Puls galoppiert davon.

Dr. Lee: Hatten Sie in der Vergangenheit schon Bluthochdruck oder einen erhöhten Puls?

Fr. Breiter: Nicht, dass ich wüsste. Bei der letzten Kontrolluntersuchung war alles ok.

Dr. Lee: Wann war die?

Fr. Breiter: Fast genau vor einem Jahr.

Dr. Lee: Schauen wir mal nach Ihren derzeitigen Vitalwerten. Blutdruck heute Morgen mit 110/70 mmHg noch im Normbereich, Puls bei 96/min schon erhöht.

Fr. Breiter: Was ist denn normal?

Dr. Lee: 60 bis 75 Schläge pro Minute. Aber das ist kein Grund zur Sorge. Haben Sie noch weitere Beschwerden?

Fr. Breiter: Ja. Irgendwas stimmt mit meinen Ohren nicht mehr. Ich hab‘ oft so ein Sausen- ist das Tinnitus?

Dr. Lee: Das klären wir noch ab – aber wahrscheinlich hat das mit dem Schwindel zu tun. Ich bräuchte jetzt noch ein paar weitere Informationen zu Ihren Vorerkrankungen. Leiden Sie an chronischen Krankheiten wie etwa Diabetes?

Fr. Breiter: Nein. Ich war immer kerngesund – bisher.

Dr. Lee: Hatten Sie irgendwelche Operationen – oder andere Krankenhausaufenthalte?

Fr. Breiter: Nein. Gar nichts.

Dr. Lee: Nehmen Sie regelmäßig Medikamente ein?

Fr. Breiter: Nur ab und zu ein Aspirin gegen die Kopfschmerzen.

Dr. Lee: Liegen Allergien vor? Oder Unverträglichkeiten?

Fr. Breiter: Nein, auch das nicht. Ich lebe seit fünf Jahren vegan. Aber das hat keinen medizinischen Grund.

Dr. Lee: Aha. Das heißt, sie essen keine tierischen Lebensmittel, richtig? Und nehmen Sie irgendwelche Nahrungsergänzungsmittel?

Fr. Breiter: Nein.

Dr. Lee: Wie sieht es mit familiären Erkrankungen aus? Leben Ihre Eltern noch?

Fr. Breiter: Ja, beide sind soweit gesund, Arthritis haben beide.

Dr. Lee: Rauchen Sie?

Fr. Breiter: Nein, geraucht habe ich nie.

Dr. Lee: Trinken Sie regelmäßig Alkohol oder konsumieren Sie andere Drogen?

Fr. Breiter: Auch das nicht. Mein Mann ist trockener Alkoholiker – bei uns gibt es keinen Alkohol.

Dr. Lee: Das ist gut. Frau Breiter, sie sind etwas blass heute, ist Ihnen das schon vor der Ohnmacht aufgefallen?

Fr. Breiter: Ja. Tatsächlich bin schon darauf angesprochen worden, Aber ist das nicht normal, wenn man den ganzen Tag am Computer sitzt und nicht aus dem Haus geht?

Dr. Lee: Zeigen Sie mir bitte mal Ihre Hände…. die Rillen hier in den Fingernägeln, haben Sie die schon lange?

Fr. Breiter: Das ist mir noch gar nicht aufgefallen. Schrecklich! Und Haare fallen mir auch so viele aus, die sind ganz kaputt und haben Spliss. Sind das schon die Wechseljahre?

Dr. Lee: Dafür sind Sie doch noch zu jung. Wie ist es denn mit der Regelblutung? Hat sich da was verändert?

Fr. Breiter: Die ist seit geraumer Zeit ziemlich stark. Ich wollte demnächst zu meiner Frauenärztin deswegen.

Dr. Lee: Das ist gut, wenn Sie das abklären lassen wollen. Jetzt schaue ich mir noch kurz Ihre Augen an. Nehmen Sie mal Ihre Brille ab, ich ziehe das Lid mal kurz herunter...auch hier ziemlich blass. Mal die Zunge raustrecken, bitte…rot und glatt, Dankeschön. Ihre Mundwinkel sind etwas trocken – ist das neu oder haben Sie das schon länger?

Fr. Breiter: Na, ich bekommt halt Falten im Gesicht. Das ist doch normal, oder nicht?

Dr. Lee: Sicher. Wir werden alle älter, aber die Rillen unterhalb der Lippe und die Einrisse in den Mundwinkeln sollten schon behandelt werden.

Fr. Breiter: Und was heißt das alles? Was hab‘ ich denn jetzt?

Dr. Lee: Ich habe jetzt eine ganz gute Idee, aber zuerst warten wir das Labor ab und dann sprechen wir auf dieser Grundlage gleich nochmal, Frau Breiter. Wir sehen uns in einer Stunde wieder.

Fr. Breiter: Ok. Danke.

 

Unsere Blogautor*innen: Jana Kirchberger und Markus Ammon

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