Lernen lernen
Mehrsprachigkeit als Ressource beim Lernen
Der Unterricht an deutschen Schulen wurde lange Zeit durch die Vorstellung geprägt, dass Schüler:innen einsprachig aufwachsen. Und so hielt sich hartnäckig die Idee, dass mit der Regel „Hier wird Deutsch gesprochen“ bessere Lernerfolge erzielt werden. Dass sich dahinter auch unterschiedliche Formen von Sprachdiskriminierung verstecken, liegt auf der Hand. Die Prämisse der Einsprachigkeit im Bildungssystem sowie daraus abgeleitete methodisch-didaktische Vorgehensweisen sind von der Realität schon lange überholt.
Allein in Berlin wurden 2024 bei 3,9 Millionen Einwohner:innen 190 Nationen mit mehr als 120 Herkunftssprachen gezählt. (Siehe: Interaktive Karte Sprachen Berlins: www.linguistik.hu-berlin.de/de/institut/professuren/allgemeine-sprachwissenschaft/allgemeine-sprachwissenschaft/forschung/berlin-spricht ) Diese Lebens- und schließlich auch Lernrealität an Schulen ist nicht nur die Folge von Flucht vor Krieg, Hunger oder der Suche nach Arbeit, sondern auch von einer wachsenden internationalen Verflechtung.
Bei den unter 18-Jährigen in Berlin hat jeder zweite Wurzeln im Ausland, was bedeutet, dass diese Jugendlichen das deutsche Schulsystem durchlaufen, während in der Familie die Herkunftssprachen der Eltern gesprochen werden. Der Ansatz „Hier wird Deutsch gesprochen“ beschneidet enorm die Ressourcen, die ein auf Mehrsprachigkeit ausgerichtetes Bildungssystem bietet.
So hat man am Beispiel mehrsprachig lebender Kinder herausgefunden, dass sie besser in der Lage sind, zwischen der Form von Äußerungen und ihrem Sinn zu unterscheiden (Barac, Bialystok 2012). Diese Fähigkeit der kognitiven Kontrolle ist eine Grundvoraussetzung für das Erlernen von Sprachen. Auch das so genannte Kiezdeutsch von Jugendlichen in Berlin hat die Sprachwissenschaftler beschäftigt. Sie fanden heraus, dass Jugendliche, die in mehrsprachigen Vierteln aufwachsen, auf mehr Ressourcen im Sprachgebrauch zurückgreifen können, da sie u.a. ganz bewusst verschiedene Sprachvarianten adressatenspezifisch einsetzen.
Ebenso ergab die DESI-Studie (https://www.kmk.org/fileadmin/Dateien/veroeffentlichungen_beschluesse/2006/2006_03_01-DESI-Ausgewaehlte-Ergebnisse.pdf), dass Lernende, die mehrsprachige Erfahrung in den Unterricht mitbringen, Vorteile für das Erlernen weiterer Fremdsprachen besitzen (Göbel et al. 2011). Allerdings bedarf dieser Prozess didaktischer und methodischer Aufbereitung. Anders gesagt: Ohne Bewusstmachung des Potenzials bleibt es im Dunkeln verborgen.
Im DaZ - Unterricht ist das Thema Mehrsprachigkeit die Normalität. Das spricht dafür, Ansätze aus der Mehrsprachigkeitsforschung als Quelle für das Erlernen von Deutsch als Zweitsprache nutzbar zu machen. Dabei geht es vor allem darum, die unterschiedlich erworbenen Spracherfahrungen im Lernprozess wertzuschätzen und systematisch zu nutzen.